Sag mir, wo die Narren sind, wo sind sie geblieben?
Rüsselsheimer Echo, 18.Januar 2002, www.echo-online.de
Ordnungsamt rechnet nur noch mit 26 000 Besuchern beim Fastnachtszug – Richtlinie macht Neubewertung nötig
FLÖRSHEIM . Das wird für viele eine ganz neue Erfahrung werden, am 10. Februar. Jeder einzelne Narr entlang des Zugweges muss sich am Fastnachtssonntag wohl damit abfinden, dass er nicht mehr zusammen mit mehr als 100 000 anderen den karnevalistischen Ausnahmezustand zelebriert, sondern dass er einer vergleichsweise überschaubaren Menge von höchstens 30 000 Menschen angehört. Mit den jedes Jahr fast inflationär ansteigenden Besucherzahlen, gemeldet von Polizei und Flörsheimer Narren-Club (FNC), ist dieses Jahr nämlich endgültig Schluss.
Kritische Geister haben zwar schon in der Vergangenheit immer wieder darauf hingewiesen, dass die offiziell verlautbarten Besucherzahlen gar nicht auf die Bürgersteige entlang des Zugweges passen. So richtig durchsetzen konnte sich diese Ansicht aber nicht.
Es war ja auch so praktisch. Der FNC konnte sich stolz auf die Fahnen schreiben, die größte Fastnachtsveranstaltung am Untermain zu veranstalten, die Polizei hatte ein nettes Argument bei der Anforderung von Unterstützungskräften, und der Verwaltungschef war einmal im Jahr Bürgermeister einer Großstadt.
Die seit Jahrzehnten gepflegte Übereinkunft brachte nun eine neue Richtlinie aus dem hessischen Sozialministerium ins Wanken. Diese Grundsätze der Risikoanalyse und Gefahrenprognose wurden zwar schon zum 2. Oktober 2000 eingeführt, das war aber zu spät, um noch Eingang in die Planungen für den Fastnachtszug im vergangenen Jahr zu finden. Hintergrund dieser in Zusammenarbeit mit den Rettungsdiensten und der Feuerwehr erarbeiteten Richtlinie ist das Bestreben, bei Großveranstaltungen eine angemessene und verbindliche Zahl an Rettungskräften vorzuhalten.
Besucherzahl, Charakter einer Veranstaltung und eventuell besonderes Gefahrenpotenzial sind die wesentlichen Parameter, die die Zahl der vorzuhaltenden Rettungskräfte bestimmen.
Würden für den Flörsheimer Fastnachtszug 130 000 Besucher angenommen – diese Zahl markierte das Maximum der im vergangenen Jahr kursierenden Besucherzahlen – müsste das Rote Kreuz gewaltige Mengen am Menschen und Material vorhalten. 130 000 Besucher – das bedeutete 116 Sanitätshelfer, 30 Rettungshelfer oder Rettungssanitäter, 12 Rettungsassistenten, vier Notärzte, 11 Krankentransportwagen und acht Rettungswagen. Die anfallenden Kosten hätte der FNC als Veranstalter zu tragen.
So viel Rettungspersonal gab es aber noch nie bei einem Fastnachtsumzug. „Wir sind immer von 30 000 Besuchern ausgegangen“, beschreibt Franz Josef Eckert, Bereitschaftsleiter des Flörsheimer DRK, die Grundlage seiner Planungen in den vergangenen Jahren. Die Helfer wollten aber auch keine Spielverderber sein, und da sie nie jemand nach ihrer Einschätzung der Zuschauerzahlen gefragt hat, behielten sie die auch für sich.
Mit den neuen Richtlinien sieht alles ganz anders aus. Danach prognostiziert die Genehmigungsbehörde der Veranstaltung, in diesem Fall das Ordnungsamt, die erwarteten Zuschauerzahlen und legt damit den Umfang des Sanitätsdienstes fest. Würde dabei von 130 000 Besuchern ausgegangen, hätten die Retter ein arges Personalproblem. Verschärft wird dies durch die neue gesetzliche Maßgabe, dass Beifahrer im Rettungswagen die Qualifikation eines Rettungsassistenten besitzen müssen. Problem des DRK: Unter den aktiven Mitgliedern gibt es zu wenige, die sich nebenbei und ehrenamtlich zum Rettungsassistenten qualifiziert haben.
Kein Wunder, denn schließlich handelt es sich hier um einen Lehrberuf mit zweijähriger Ausbildungsdauer.
Zum großen Personalengpass kommt es aber gar nicht, denn die Berechnung der Stadt ist von bestechender Logik, wenngleich sie von den Jubelmeldungen der Vergangenheit nur noch einen Bruchteil übrig lässt.
Folgende Parameter liegen der städtischen Rechnung zugrunde: Der Zugweg ist 2600 Meter lang, der Bürgersteig 1,25 Meter breit. Multipliziert man nun die doppelte Zuglänge (weil zu beiden Seiten der Straße Menschen stehen) mit der Bürgersteigbreite, ergeben sich 6500 Quadratmeter Fläche, auf der die Narren toben können. Vier Narren pro Quadratmeter ergibt eine maximale Besucherzahl entlang des Zugweges von 26 000 Menschen. So einfach ist das.
Rechnet man spaßeshalber mal andersherum und legt 130 000 Besucher zugrunde, müssten sich auf einem Quadratmeter 20 Menschen drängen. Oder der Zug müsste 13 Kilometer lang sein und könnte dann bis Hofheim führen.
Bei angenommenen 26 000 Besuchern kommt das DRK mit seinen Einsatzkräften ganz gut klar. Neben den Liederbachern helfen dieses Jahr auch erstmals die Bischofsheimer Kollegen mit aus, so dass nur in geringem Maße mehr als in den vergangenen Jahren üblich Rettungskräfte teuer eingekauft werden müssen.
Ein Herunterrechnen der Besucherzahlen hätte dem Veranstalter diese teuren Zusatzverpflichtungen von Rettungskräften erspart. Das wäre aber mit dem DRK sowieso nicht zu machen gewesen. Ein Blick auf die Einsatzstatistik der vergangenen Jahre zeigt Franz Josef Eckert, dass alle Helfer nötig waren. Dazu bedarf es noch nicht mal eines Unglückes wie im Vorjahr, als 29 Menschen beim Sturz von einem umkippenden Motivwagen verletzt wurden.
Jens Etzelsberger; 18.01.2002